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Chile - Erstbegehung der Kletterroute "The Prophecy"

Der auch international erfolgreichen Steyregger Sportkletterin Gerda Raffetseder und Stefan Brunner ist es gelungen, am Fels Prophetas im chilenischen Cochamó Valley eine neue Route erstzubegehen und sie fürs Freiklettern einzurichten. Für den „Naturfreund“ haben die beiden niedergeschrieben, wie es ihnen dabei ergangen ist.

 

Anfang 2009 haben wir einen Artikel über einen Klettertrip ins chilenische Cochamó Valley gelesen und waren von den Bildern dieser wunderschönen Bergspitzen begeistert. Als Stefan auf einer Reise in die USA zufällig Daniel Seeliger, den Hüttenwirt aus La Junta, kennenlernte, erzählte ihm dieser von den schier unbegrenzten Möglichkeiten zur Erschließung der dortigen Felsen. Wir waren nun überzeugt: Die Kombination aus unberührtem Granit und das Kennenlernen eines für uns neuen Landes versprachen Abenteuer nach unserem Geschmack. Und wir haben uns ausgemalt, wie wir die eine oder andere Route entdecken und erstbegehen würden.

 

Ein halbes Jahr später haben wir uns diesen Traum erfüllt, und es ist genauso gekommen, wie wir es uns vorgestellt hatten – mit dem genialen Endprodukt „The Prophecy“!

 

Die Reise

Am 16. Jänner 2010 starten wir mit ca. 150 kg Gepäck um 3 Uhr Früh Richtung Flughafen München, und nach rund 25 Stunden landen wir in Santiago de Chile. Wir verbringen hier einen Tag, bevor wir mit dem Nachtbus weitere 12 Stunden in den Süden nach Puerto Varas weiterreisen, eine kleine, gemütliche Touristenstadt im Seengebiet. Dort stocken wir unser Gepäck um ca. 50 kg Lebensmittel auf und fahren mit einem Regionalbus nach Cochamó – zwei Stunden rasante Fahrt auf teilweise unbefestigten Straßen, vorbei an den Vulkanen Osorno (2660 m) und Calbuco (2003 m), die beide noch aktiv sind. Cochamó ist ein verschlafenes Fischerdörfchen ganz im Norden von Patagonien. Von hier starten wir unsere letzte Etappe ins Cochamó Valley, die wir zu Fuß bewältigen müssen. Wir lassen unser schweres Gepäck im Garten von Favien, der es uns erst am nächsten Tag mit seinen Pferden nachbringen wird.

Der Weg ins Tal folgt einer Holzbohlenstraße aus dem 19. Jahrhundert, die ursprünglich für Ochsenkarren gebaut worden war. Auf ihnen wurde Fisch nach Argentinien und auf dem Rückweg Rindfleisch nach Chile transportiert.

Am Weg durch den Dschungel haben wir viele Hindernisse zu meistern. Wir müssen kreativ sein, um Flüsse und Bäche, ohne zu sehr nass zu werden, überqueren zu können, und vielen matschigen Stellen ausweichen. Nach fünf Stunden Wandern mit leichtem Gepäck am Rücken erreichen wir endlich unser Endziel La Junta.

 

Es kann losgehen!

Angesichts seiner imposanten Granitkuppeln, die den immergrünen Mischwald mit seinen riesigen Alercebäumen (gehören zu den ältesten und größten Baumarten der Welt, einige sind fast 4000 Jahre alt) überragen, wird das spektakuläre Tal des Rio Cochamó gerne mit dem Yosemite verglichen. La Junta ist der Ausgangspunkt zu den umliegenden Felsgiganten, und es gibt eine bewirtschaftete Hütte mit einem Zeltplatz. Jetzt kann es endlich mit dem Klettern an zum Teil unberührtem Fels losgehen!

Zur Eingewöhnung klettern wir eine bestehende 860 m hohe Route am Cerro La Junta. Christof, noch ein Österreicher in der chilenischen Einsamkeit, ist mit von der Partie. Trotz vieler nasser Stellen kommen wir gut voran und genießen den herrlichen Tag in der Vertikalen. 10 m vor dem Ausstieg kommen wir plötzlich nicht weiter. Wir wissen nicht, dass die Erstbegeher von hier aus abgeseilt haben. Also müssen wir uns einen geeigneten Ausstieg suchen, was jedoch Zeit kostet. Stefan erlangt das Gipfelplateau über eine Rissspur ca. 100 m rechts vom Ende der Route. Da der Riss komplett mit Dreck verschlossen ist und wir schon in Zeitnot sind, zieht er sich A0 an seinen Friends auf die rettende Wiese am Top. Vom Gipfel gibt es keinen sichtbaren Weg, und so müssen wir uns die Markierungen (orange Schleifen in den Sträuchern) mühsam suchen und kommen daher beim Abstieg nicht sehr schnell voran. Es wird finster. Mit unseren Stirnlampen kämpfen wir uns noch tapfer eine verwachsene Schneise nach unten. Doch auf einmal stehen wir an einem Abbruch und kommen nicht mehr weiter. Wir müssen biwakieren.

 

Unsere erste Tour endet gleich mit einem Sitzbiwak. Wir nehmen es gelassen, und mit den ersten Sonnenstrahlen führen wir unseren Abstieg fort.

Wir entdecken an den gegenüberliegenden Felswänden eine beeindruckende Rissspur und beschließen, in der Hütte zu prüfen, ob hier schon einmal jemand geklettert ist.

 

Nach dem restlichen Abstieg über Felsplatten und steiles Dschungelgelände denken wir uns, dass wir hier niemals mit schwerem Gepäck aufsteigen möchten. Doch schon am nächsten Tag packen wir unsere Haulbags und tun genau das. Wir haben nämlich erfahren, dass die beeindruckende Rissspur noch nie begangen wurde.

 

The Prophecy

Die Hitze macht es uns nicht leicht. Sehr langsam transportieren wir unsere Kletterausrüstung, Schlafsäcke und Matten, Lebensmittel, Kocher, Geschirr, Regenbekleidung usw. Richtung „La Paloma“, wie die Felsarena genannt wird.

Glücklicherweise gibt es im Cochamó Valley überall Wasser, und wir ersparen uns, zusätzliches Gewicht zu schleppen. Außerdem nehmen wir gleich nach dem Erreichen unseres heutigen Ziels in einem Gebirgsbach ein erfrischendes Bad. Wir übernachten am Wandfuß im Freien unter einem gewaltigen Sternenhimmel.

 

Am nächsten Tag sind wir schon ganz wild darauf, endlich einzusteigen. Da die Risse ziemlich verschlossen sind, kämpft sich Stefan vorerst einmal technisch* hoch. Zwischendurch erlaubt ihm der Riss immer wieder einmal, einen Friend zu legen. Nach ca. 70 m bohrt er ein 8-mm-Loch mit der Hand und setzt einen Bohrhaken. Nun sind es noch einmal 20 m, und er erreicht ein gutes Band, wo ich schließlich für unseren Stand mit dem Handbohrer ein 10-mm-Loch setze.

 

Kontinuierlich arbeiten wir uns technisch bis zu einem zweiten großen Band hoch. Wir fixieren 240 m Seil, an dem wir immer wieder in unser Camp zurückkehren und anderntags aufsteigen, um weiterzuarbeiten.

Zwischendurch überrascht uns in der Nacht der Regen. Wir flüchten hinter einen überhängenden Felsblock und kommen einigermaßen trocken davon.

Von dem großen Band aus zieht sich ein großer Offwidth-Riss nach links, der in einem Kamin endet. Hier ist es für uns leichter, mit Friends abzusichern. Wir haben alles bis zur Größe 6 dabei, und es kommt auch alles zum Einsatz. Die Kletterei ist traumhaft. Als hätte sie auf unsere „Befreiung“ gewartet. Dieses Mal haben wir auch die Bohrmaschine des Hüttenwirts Daniel Seeliger mit. Unser Plan ist es, die Stände einzubohren bzw. nachträglich dort Bohrhaken zu setzen, wo ein Anbringen von Klemmgeräten unmöglich ist. Wir wollen, dass die Route frei kletterbar wird.

 

Für den Fall der Fälle haben wir ein Zelt aufgestellt. Und tatsächlich beginnt es in der Nacht zu regnen. Das Zelt bleibt dicht. Nach einiger Zeit heftigen Geprassels merken wir jedoch, wie vom Boden her Wasser eindringt. Es geht ziemlich schnell, und bald fühlen wir uns wie in einem Kinderplanschbecken. Diesmal rettet uns der Felsblock nur bedingt. Unsere Schlafsäcke sowie unsere Kleidung sind nass. Nun beginnt es auch noch zu hageln und stark zu schneien. Es ist jetzt verdammt ungemütlich, und wir wünschen uns nur mehr zurück ins Basecamp, in die schützende Hütte. Als das Unwetter etwas nachlässt, beginnen wir sofort mit dem Abstieg. Das ist gefährlich, da ein Teil des Weges nur glatte Felsplatten in einem Bachbett sind, die man wegen des dichten Dschungels nicht umgehen kann. Wir brauchen für diesen Teil doppelt so lange wie sonst.

Das sichere Refugio am Talgrund erreicht, gönnen wir uns ein Zimmer, wo wir unsere Kleidung trocknen lassen, während wir hausgemachte Pizza essen und hausgebrautes Bier trinken.

 

Wegen häufiger zwischenzeitlicher Regenfälle müssen wir zu unserem Projekt mehrere Male auf- und absteigen, das bedeutet jedes Mal zwischen zweieinhalb und drei Stunden pro Weg.

Als wir dann doch noch am Gipfel dieser Traumlinie stehen und unsere Erstbegehung geschafft haben, ist das ein unheimlich gutes Gefühl. Wir genießen diesen Augenblick und sind glücklich. Wir haben einen tollen Ausblick und lassen uns von neugierigen Kondoren umkreisen. Unachtsamkeit lässt zwei dieser mächtigen Vögel zusammenstoßen – ein beeindruckendes Schauspiel in einer grandiosen Gegend.

 

Doch die Route ist noch nicht ganz fertig. Wir setzen noch Bohrhaken, solange der Akku der Bohrmaschine es zulässt. Leider geht sich nicht alles aus, und wir müssen noch einmal absteigen, um den Akku aufzuladen. Wir sind müde und ausgelaugt und entspannen einen Tag in unserem Zelt im Basecamp.

Daniel startet extra den Generator, um den Akku zu laden. Mit Strom wird hier sehr sorgsam umgegangen. Die Abende verbringt man bei Kerzenlicht und gekocht wird an einem mit Holz gefeuerten Tischherd.

 

Leider beginnt es wieder zu regnen, und es will nicht aufhören. Wir grübeln stundenlang über dem Schachbrett und lesen, aber das Prasseln am Dach wird immer mehr statt weniger. Sechs Tage warten wir im Tal vergebens auf ein Sonnenloch. Schlussendlich können wir nicht mehr warten und beschließen, trotz Regen aufzubrechen.

 

Stefan steigt ein letztes Mal an den Fixseilen hoch. Er setzt die restlichen Bohrhaken, richtet die Stände her und zieht anschließend die Seile ab. Dies ist wirklich harte Arbeit, wenn man bedenkt, dass an der Wand Sturzbäche hinunterlaufen.

 

Der Abstieg im Regen mit jeweils 30 kg am Rücken ist sehr gefährlich und verlangt vollste Konzentration. Als wir spätabends im Refugio ankommen, sind wir erleichtert.

 

Die frei zu kletternde Route bekommt von uns den Namen „The Prophecy“, ist 420 m lang, hat 10 Seillängen, und wurde von uns mit dem französischen Schwierigkeitsgrad 7 b bewertet. Lediglich in der Schlüsselseillänge gibt es einen Seilpendler. Dieser 5-Meter-Schwung nach links, wo man einen guten Griff erreicht und solide weiterklettern kann, ist jedoch kein Schönheitsfehler, im Gegenteil, er ist eine Attraktion. Wir sind sämtliche Einzelzüge in der Tour geklettert, es fehlt nur mehr die komplette freie Begehung von unten.

 

Nachdem die Route fertig ist, wollen wir das Tal verlassen und noch woanders ein paar Sonnentage erleben. Der Fußmarsch hinaus in die Zivilisation entpuppt sich jedoch als harte Nuss. Nach einer Woche Dauerregen sind aus lieblichen Gebirgsbächen reißende Flüsse geworden, die es ohne Brücken zu überwinden gilt. Der Weg ist ein einziger Kampf mit dem Matsch. Schließlich gelangen wir völlig aufgeweicht und erschöpft zum „Trailhead“, und eine Stunde später kommen auch die Pferde mit unserem Gepäck heil aus dem Valley.

 

Wir setzen uns in eine Wiese und legen unsere Kleidung zum Trocknen auf. Und plötzlich kommt auch die Sonne wieder hervor …

 

Text und Fotos von Gerda Raffetseder, www.gerdaraffetseder.at, und Stefan Brunner

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